Von der Hektik in die Ruhe

Gedanken eines Burnout-Patienten

 

 

Ja, ich war auch einer von jenen, die das Burnout belächelten. Mir kann das nicht passieren, ich weiss, was ich tue.

Davon war ich überzeugt.

Schliesslich liebe ich meine Arbeit, tue ja nur das, was ich will. Weiss aber mein Kopf, wieviel Gutes noch gut ist? Es war vor über drei Jahren, als ich noch ganz aussen an der Spirale war, wo noch alles stimmt, nicht nur im Kopf. Das Umfeld, Familie, das Team am Arbeitsplatz, und vor Allem ich.

Ich, wer war das? Ein Mensch im mittleren Alter, seit einigen Jahren beim selben Arbeitgeber, zufrieden mit der Arbeit und stets die besten Qualifikationen.

Irgendwann aber kam die Wende.

Wann genau? Man kann es nicht genau sagen, ich wurde aber zum krankhaften Arbeitnehmer.

 

Meine Kollegen nannten mich spasseshalber "workaholic".

 

Nein, davon war ich weit entfernt, ich tat nur, was nötig war, um die von oben gestecketen Ziele auch zu erreichen.

Und wenn ich sie mit "meinem" Team erreichen konnte, war ich stolz, unglaublich stolz.

Ich bemerkte nicht, dass ich die Einzige war, die diese Ziele so persönlich und wörtlich nahm.

Meine Arbeitskollegen haben mich wohl belächelt und waren froh über meinen Einsatz, unermüdlich und immer energischer hängte ich mich hinter meine Arbeit.

 

Was niemand gerne machte, liessen alle liegen.

 

Lag es lange genug, habe ich mich schon darum gekümmert, schliesslich waren da Kunden dahinter.

Meine Arbeit war stets perfekt. Über den kleinsten Fehler regte ich mich fürchterlich auf.

 

Ich war froh, ein überdurchschnittliches Gedächtnis zu haben, dies hat mir viel erleichtert.

 

Doch irgendwie wollte der Berg nicht abnehmen.

 

Der Berg an Arbeit wuchs und wuchs, damit auch mein Arbeitseifer, mein Ehrgeiz, die gesteckten Ziele zu erreichen.

 

Dabei fiel mir jedoch nicht auf, dass mein Ehrgeiz ein selbstzerstörerisches Ausmass angenommen hatte.

 

Es waren ja alle zufrieden mit meiner ausserordentlichen Leistung.

Den Leistungsdruck spürten aber andere Personen im Team.

 

Unser Team zerbrach, und mit dem Abgang eines Teammitgliedes nahm das Übel seinen Lauf.

 

Mir schien Alles gleichzeitig zu entgleisen.

 

Ich sah meine Felle davonschwimmen.

 

Das Schlimmste war für mich die Nachricht, dass das Teammitglied, das uns verlassen hatte, nicht ersetzt werden würde und mir ziemlich gleichzeitig noch bitter nötige freie Tage gestrichen wurden.

Damals sah ich es aber noch als Herausforderung.

 

Heute schüttle ich meinen leeren, gedankenschweren Kopf über so viel Sturheit, ja, schon fast Dummheit.

 

Tränen kommen schon lange keine mehr.

 

Es tut aber unheimlich weh, Tränen könnten so befreiend sein.

Das war der Anfang vom Ende.

 

Es ging dann noch genau zwei Monate weiter, gut ging es eigentlich schon lange nicht mehr, aber ich biss noch zwei Monate durch.

 

Rückwirkend die schlimmsten zwei Monate.

 

Damals hatte ich noch Tränen, die mindestens einmal pro Tag dick die Wangen herunter rollten. Mitarbeiter und Lebenspartner mussten schon lange meine inzwischen miesen Launen und Aggressionen ertragen, tapfer ertragen.

Dann kam Zynismus dazu.

 

Aber so liess es sich einigermassen selber erträglich machen.

 

Diese ausweglose Situation, die ausser mir niemand zu sehen schien. Schliesslich resignierte ich ganz gewaltig.

Mir war auf einmal alles egal.

 

Mein letzter Arbeitstagwar der reinste Horror: mein makelloses Gedächtnis versagte seinen Dienst. Die profansten Informationen konnte ich nicht abrufen, mir gelang nicht die einfachste Arbeit.

 

Voller Hoffnung auf ein hilfebringendes Medikament, das mir weiter im Arbeitsalltag hilft, begab ich mich zum Arzt.

Dort kam der komplette körperliche Zusammenbruch.

 

Ich heulte wie ein kleines Kind, ich war kaputt, zerstört von mir selbst, aber nicht ohne die Hilfe des Leistungsdruckes in der Firma, die meine Leistungen dankbar entgegennahm.

Tja, das ist nun bereits sieben Monate her.

 

Ich denke, ich habe in dieser Zeitviele Fehler eingesehen. Ich habe erkannt, wo meine grössten Baustellen sind. Das Wort "Nein" muss ich unbedingt in meinen Wortschatz aufnehmen, wenn möglich in allen Sprachen.

 

Heute bin ich in einer Burnout-Therapie in einer Klinik.

 

Ich bin noch weit davon entfernt, meine Seele und meinen Geist gesund gepflegt zu haben. Zwei lange Monate war ich auch der Meinung, ich könne mir selber helfen.

Man ist ja schliesslich eine starke Persönlichkeit. Und das Wort "Burnout" knallte mir schliesslich meine Psychiaterin wie eine Ohrfeige an den Kopf!

 

Es hatte mich getroffen!

 

Nie hatte ich es erwartet, musste es aber lernen, auch das zu akzeptieren.

Es ist schwer, einen stressgeplagten Körper und Geist in die Ruhe zu führen. Es braucht viel Geduld, die ich bisher nicht hatte.

 

Doch mit dem selben Willen, den ich für die Arbeit aufbrachte, möchte ich lernen, mein Leben von Grund auf zu ändern.

 

Wieder bewusst und mit dem Herzen lächeln zu können.

Wieder Gefühle zu haben, die einem ab und zu ein Tränlein trocknen lässt.

Mit dem selben guten Geist meiner geliebten Arbeit nachzugehen, aber mit gesundem Ehrgeiz, nicht mehr krankhaft.

Die Aggressionen, die an der Tagesordnung waren, verschwinden zu lassen und für Arbeitskollegen, Familie und Lebenspartner wieder ein fröhlicher, zufriedener Mensch zu sein.

 

Ein Mensch, der lernt, dass es im Leben auch Anderes als Arbeit gibt.

Ein Mensch, der sich Zeit nimmt für ALLE wichtigen Dinge im Leben: Für Andere, für Haus und Garten, die Schönheiten der Natur, Schreiben, Lesen, überhaupt Hobbys, und vor allem Zeit für sich.

Zeit zur Erholung, wenn nötig, aber auch Zeit für Betätigung, wenn erwünscht, kurz, ein rundum zufriedener Mensch.

 

Und ein gestresster Mensch kann nie ein zufriedener Mensch sein. Das weiss ich jetzt, und ich arbeite jeden Tag daran.

Innerlich bin ich noch immer ein Nervenbündel, aber es soll sich ändern in den nächsten Wochen hier in der Klinik.

Dafür, dass ich diese Hilfe erhalte, danke ich von Herzen.

Niemand, der es nicht selber erlebt hat, weiss, wie es ist, sich selbst zerstört zu haben und am Boden zu liegen. Hier wird man verstanden und man hilft einem mit Körper, Geist und viel Herz.

 

Meinen lieben Dank an alle Ärzte,

Pfleger, Physiotherapeuten und sonstigen

guten Geistern hier in der Klinik

Kommentar schreiben

Kommentare: 0